Handlungstypen; Lebenswelt: Einführung, Definitionen, kommunikatives Handeln, Medien zur Reproduktion, Struktur; Lebenswelt und System; Phänomenologie; Stammesgesellschaften: als soziokulturelle Lebenswelten, als Systeme; Systemdifferenzierung (Mechanismen); Verdinglichung; Weltbild (Dezentrierung);
"Die Weltkonzepte bilden das formale Gerüst, mit denen die kommunikativ Handelnden die problematischen, einigungsbedürftigen Situationszusammenhänge in ihre als unproblematisch vorausgesetzte Lebenswelt einordnen" (Habermas 1995, S. 107)
Definitionen für den Begriff 'Lebenswelt' / Vgl. 'Kollektivbewusstsein'
Sprache und Kultur gehören
zur Lebenswelt, sind nicht als Bestandteil einer der drei
Welten zu verstehen. Die Verständigung bleibt "im Rücken"
der Situationsteilnehmer, die Grenzen der Lebenswelt lassen sich nicht
überwinden. Sprache wird benutzt und fortgesetzt. Die Lebenswelt bildet
somit den Hintergrund für die aktuelle Szene. Wird sie thematisiert,
handelt es sich um Wissen.
Die selbstverständlichen Voraussetzungen einer Situation werden durch
ihre Relevanz mobilisiert. Es handelt sich um alltägliche, präreflexive
Hintergrundannahmen, der Aktor ist Initiator und Produkt von Überlieferungen.
Lebensweltliches Wissen hat einen paradoxen Charakter, weil die Gewissheit
in dem Nichtwissen besteht! Die Lebenswelt dient dem Aktor als Resource,
die weltlichen Tatsachen, Normen und Erlebnisse demgegenüber als situationsbedingte
Restriktion für seine Handlungspläne. "Zu Sprache und Kultur
können die Beteiligten (...) nicht dieselbe Distanz einnehmen wie
zur Gesamtheit der Tatsachen, Normen oder Erlebnisse, über die Verständigung
möglich ist" (Habermas 95 II, S. 192, siehe Abbildung auf S. 193). Ein
Beispiel findet man m.E. bei Watzlawick in der Wiedergabe des Asch-Experimentes.
Erfahrung der Lebenswelt (noesis) / Grundstrukturen (Schütz/Luckmann, n. Habermas 95 II, S. 196):
Strukturen der Lebenswelt (noema)/ s. AGIL-Schema:
Dimensionen der Lebenswelt, ein unendlicher innerer und äußerer Horizont:
Medien zur Reproduktion der Lebenswelt
Reproduktionsprozesse und ihre Pathologien (n. Habermas 95 II, S. 212)
Lebenswelt/kommunikatives Handeln vs. andere Handlungsformen
Rationalisierung der Lebenswelt (Habermas 95 II, S. 219, n. Mead/Durkheim)
Es gibt keinen Grenzwert für das vernünftige
Leben, der rational bestimmbar wäre. Der Entwertung der Traditionssubstanz
unter eine auf das kognitiv-instrumentelle beschränkten Rationalität
kann jedoch der prozedurale Begriff der kommunikativen Rationalität
entgegengesetzt werden. Um eine Form des Lebens zu erlangen, bei der zwanglose
Identität der Individuen mit zwangloser Reziprozität zwischen
den Individuen zu einer erfahrbaren Realität wird, ist ständiges
Bemühen erforderlich. Eine hochentwickelte kommunikative Infrastruktur ermöglicht
gelungene Lebensformen (H. 1995, S. 112/13)
- Zur Bearbeitung von Sinnzusammenhängen müssen Traditionen kultureller Überlieferung in Frage gestellt werden können (H. 95 I, S. 109)
- Es ist eine Illusion der Verdinglichung, dass sich die objektive Welt ausdifferenziert, die soziale und subjektive Welt hingegen aus der rational motivierten Verständigung ausgegliedert würde. (H. 95 I, S. 111)
Winch: Lebensformen in ihrer Totalität stellen Sprachspiele dar. Diese können nicht unter einzelnen Rationalitätsaspekten beurteilt werden. Standards für die Beurteilung von Lebensformen sind hier verfehlt, mit Ausnahme vielleicht von "Gesundheit/Krankheit".
Entkoppelung von Lebenswelt und System
Stammesgesellschaften (idealtypisch) als soziokulturelle Lebenswelten (H. 95 II, S. 233)
Stammesgesellschaften als selbstgesteuerte Systeme
Trennung der systemischen von der sozialen Integration (n. Habermas 95 II, S. 246)
Segmentäre Differenzierung | Tausch | vorgegebene Sozialstrukturen | Stammesgesellschaften |
Stratifikation | Macht | dto. | Hierarchisierung |
Staatliche Organisation | Macht | neue Sozialstrukturen/system. | politische Klassen |
Steuerungsmedien (Geld) | Tausch | dto. | ökonomische Klassen |
Die Produktivkräfte bestimmen den Grad der Verfügung über die Naturkräfte, die Produktionsverhältnisse bestimmen, in welcher Art die Arbeitskräfte mit den Produktionsmitteln kombiniert werden. Die Entwicklung vollzieht sich in den obengenannten vier Mechanismen. Rollenbeziehungen werden komplexer, Status, Formalrecht, Autorität etc. bilden sich heraus; Veränderungen der ökonomischen Basis haben die entsprechenden Veränderungen des Überbaus zur Folge. Organisationen haben pauschal akzeptierte Mitgliedbedingungen, die Personen werden zur Organisationsumwelt, mit konfliktanfälliger konkreter Wertorientierung und Handlungsdisposition (H. 95 II, S. 257, n. Luhmann).
Institutionalisierung von Recht und Moral
Moralisches Bewusstsein | Sozial-kognitive Grundbegriffe | Ethiken | Rechtstypen |
präkonventionell | partikular | magisch | offenbartes Recht |
konventionell | Norm | Gesetzesethik | traditionales Recht |
postkonventionell | Prinzip | Gesinnungs- und Verantwortungsethik | formales Recht |
Entsprachlichte Kommunikationsmedien
Systemdifferenzierung ist von der Rationalisierung der Lebenswelt abhängig. Dies geschieht über die von Parsons so genannte Wertgeneralisierung. Dadurch wird ermöglicht, dass sich Ego nicht in jedem Einzelfall der Unterstützung Alters vergewissern muss, sondern dass er generalisierte Handlungsorientierungen bei Alter vorfindet, z.B. Konsens- und Folgebereitschaft. Hierzu gehören Ansehen, Einfluss von Personen und die gesetzliche Autorität des Staates. Sittlichkeit spaltet sich auf in Moralität (Anwendung von Prinzipien) und Legalität (Rechtsgehorsam).
Zwei gegenläufige Tendenzen werden deutlich: Auf der einen Seite müssen sich die Handelnden vermehrt von religiös verankertem Konsens auf sprachliche Konsensbildungsprozesse umstellen, d.h. die Anforderungen an Sozialintegration nehmen zu. Dies erfordert auf der anderen Seite für das zweckrationale Handeln eine Entlastung von direkter sprachlicher Verständigung durch Kommunikationsmedien. Kommunikationsmedien kondensieren Verständigung als Massenmedien, oder ersetzen durch ihre Steuerungsfunktion in Form von Geld und Macht den Verständigungsmechanismus. Diese systemischen Meachanismen benötigen die Lebenswelt für die Handlungskoordinierung nicht mehr.
In dieser Polarisierung zwischen der Idee einer diskursiven Einlösung von normativen Geltungsansprüchen und dem entmoralisierten Zwangsrecht spiegelt sich die Entkoppelung von Lebenswelt und System (s. H. 1995 II, S. 269).
Handlungskoordinierung, d.h. Folgebereitschaft von Alter, wird also zum einen durch Willensstärke, Ansehen, Können und Wissen von Ego gewährleistet, zum anderen wirkt sich dieser Status über die Technisierung in der durch Kommunikationsmedien geschaffenen Öffentlichkeit aus.
Systemkomplexität sprengt Fassungskraft der Lebenswelt
Die systemischen Mechanismen, normfrei über die Lebenswelt
hinausragenden Sozialstrukturen, bleiben jedoch über die Institutionen
des bürgerlichen Rechts an die Lebenswelt zurückgekoppelt. Es
handelt sich um Subsysteme: Wirtschaftssystem und Verwaltungssystem.
Marx: Lebenswelt nur Überbau. Die systemischen Zwänge
der materiellen Reproduktion greifen durch die symbolischen Strukturen
der Lebenswelt hindurch. "Die rationalisierte Lebenswelt ermöglicht
die Entstehung und das Wachstum der Subsysteme, deren verselbständigte
Imperative auf sie selbst destruktiv zurückschlagen" (H. 95 II, S.
277).
In Stammesgesellschaften bleibt der Konsens der Beteiligten
unangetastet, und die Systemintegration erfolgt über funktionale Handlungszusammenhänge.
Mit zunehmenden Hierarchisierung und Herausbildung politischer / ökonomischer
Klassen instrumentalisieren systemische Zwänge die kommunikativ strukturierte
Lebenswelt.
Wie aber schafft es das System, in der Lebenswelt zu
wirken? Durch die Erfahrung der Verdinglichung (apriorische Gegenständlichkeitsform,
n. Lukács) und durch Einwirkung auf die formalen Eigenschaften der
intersubjektiven Verständigung. Die Bedingungen der Verständigung
bilden die Schnittflächen, wo systemische Zwänge unauffällig
in die Formen der sozialen Integration eingreifen und die Lebenswelt dadurch
mediatisieren. Strukturelle Gewalt schränkt Kommunikation systematisch
ein, indem sie die Weltbezüge der Kommunikationsteilnehmer festlegt.
Die Verständigungsformen lassen Ritus und Mythos als vorherrschende Form hinter sich und entwickeln sich vom Gebet und institutionalisierten Heilswegen, den religiösen und metaphysischen Weltbildern hin zu normativ geregeltem kommunikativem Handeln mit argumentativer Behandlung von Wahrheitsansprüchen, sowie zur Zwecktätigkeit der Nutzung spezialisierten berufspraktischen Lehrwissens, die als legitime Macht organisiert ist. Von den sakralen Handlungsbereichen mit kultischer Praxis und entsprechenden Weltbildern zum profanen Handlungsbereich, der durch Kommunikation und Zwecktätigkeit gekennzeichnet ist, und sich zu normativ entbundenem kommunikativem Handeln, institutionalisierter Kritik und sittlich neutralisiertem zweckrationalen Handeln entwickelt. Die Zwecktätigkeit mündet schließlich in sittlich neutralisiertes Handeln, in die Nutzung wissenschaftlicher Technologien und Strategien.
Die Entwicklung der Verständigungsformen lässt
die Konkurrenz zwischen System- und Sozialintegration immer deutlicher
hervortreten.
(n. Habermas 1995 II, S. 473)
Lebenswelt | Austauschbeziehungen | mediengesteuerte Subsysteme |
Privatsphäre | --> Arbeitskraft (Machtmedium)
<-- Einkommen (Geldmedium) <-- Güter und Dienstleistungen (Geld) --> Nachfrage (Geld) |
Wirtschaftssystem |
Öffentlichkeit | --> Steuern (Geldmedium)
<-- Organisationsleistungen (Macht) <-- politische Entscheidungen (Macht) --> Massenloyalität (Macht) |
Verwaltungssystem |
Gesellschaft als System, das die soziokulturellen Lebenswelten erhalten muss.
Quelle:
Habermas, J.: Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt a.M. 1981
4., durchgesehene Aufl. 1987/Taschenbuchausgabe: Erste Auflage 1995, Bd. I/Bd. II
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