Phänomenologie

Schütz; Lebenswelt


Husserl

Forschungsfeld: das reine und das transzendentale Bewusstsein, das phänomenologische Residuum. Es geht um die Teilnehmerperspektive des in der Sozialwelt Handelnden. Die Theorie der  Lebenswelt soll (n. Husserl) hiermit auf dem Absolutismus des transzendentalen Ichs aufgebaut werden. Alles Wissen konvergiert auf den Menschen, also muss die Subjektivität erfasst werden. Es geht um die Reduktion auf den Wesensgehalt der Fakten. Welterzeugung muss als etwas Genommenes verstanden werden, was der Empirismus als Gegebenes unterstellt. Objektivität entspringt in der Subjektivität.

Verfahren:

Epoché und Reduktion

Epoché zu üben bedeutet, die Welt im gewöhnlichen Wortsinn einzuklammern, alles Faktische außer Kraft zu setzen. Die phänomenologische Analyse benötigt nun nicht einfach aggregierte Sinnesdaten - der Anfang ist nicht im Empirischen zu finden, sondern im transzendentalen Bewusstsein. Epoché wird auch als eine Methode der Urteilsenthaltung eingesetzt (Habermas), die Vormeinungen zu einem Objekt werden ausgeschaltet. Es erfolgt eine Reduktion auf das Subjektive, und koste es die Welt. Übrig bleibt das reine Bewusstsein als Phänomen. Die transzendentale Reduktion erforscht das "Wie", den strukturellen Aufbau der Phänomene. Die Epoché dient dafür als Voraussetzung, sich von der natürlichen Einstellung ab- und dem Blickstrahl des reinen Ich zuzuwenden (n. Welz 1996, S. 55).

Eidetik

Unter der Eidetik als nächstem Schritt versteht man, die empirische Faktizität auf ihren Wesensgehalt zu reduzieren. Es handelt sich somit um eine Vorstellung ohne direkte Wahrnehmung. So lassen sich z.B. verschiedene Varianten roter Farben letztlich in einer a priori vorhandenen Vorstellung von "Rot" kristallisieren, das wird als kongruierendes "Eidos" bezeichnet. Die eidetische Reduktion hat also das "Was" zum Thema.

Noesis und Noema / phänom. Analyse

Das Erleben als Denkakt wird als Noesis, der Inhalt des Gedachten als Noema bezeichnet. Der Sinn gehört zu dieser intentionalen Wahrnehmung. Ein faktischer Baum beispielsweise kann abbrennen, nicht aber sein Sinn. Den Baum wahrnehmen, sich seinen Sinn denken, ist eine Leistung des Bewusstseins. Es gibt nicht den tatsächlichen Baum und die Vorstellung von ihm, sondern es gibt nur "diesen einen Baum". Die phänomenologische Analyse legt den Sinn der Welt aus; Gegenstände sind, was sie sind, nur als Gegenstände des Bewusstseins. Gültigkeit einer Beurteilung.

Problem der Realität

Die Fakten sind beliebig, nicht gewiss. Das Bewusstsein hingegen existiert unabhängig von der Kontingenz der Welt. Eine Erfahrung zu vollziehen, ist mehr als die Aufnahme von Daten. Es handelt sich um einen sog. realistischen Idealismus, Wissen konstituiert sich in Welt. Für das intentionale Bewusstsein ist das transzendentale Ego sinngebend. Mensch und Wirklichkeit lassen sich nicht länger voneinander trennen. Somit muss es (n. Husserl) um das Studium der reinen Subjektivität gehen, mit dem absoluten Ego, nicht der Welt.
 

Hinwendung  zur Lebenswelt/ Funktion

Lebenswelt

Ego als Träger individueller Geschichte ist "welthaltig". Ego muss "Vorgängiges" analysieren, wird zum Substrat von Gewohnheiten. Das Unbekannte basiert auf Bekanntem. Der vorhandene oder intendierte Horizont kann auch durch "Epoché" nicht ausgeklammert werden.  Die Unabhängigkeit von Welt in der phänomenologischen Wissenschaft kann nicht aufrechterhalten werden. Welt wird aus der Innensicht des Beobachters verstanden, der sich die Objekte in seinem Welthorizont bewusst macht. Dabei handelt es sich in transzendentaler Perspektive um die Lebenswelt.

Die Lebenswelt fungiert als Leitfaden und als Boden. Alles Objektive der Lebenswelt ist subjektiv, alles andere Umwelt. Lebenswelt fungiert als fraglose Selbstverständlichkeit, als Untergrund. Es handelt sich um die gemeinsame Erfahrungswelt mit allgemeiner Struktur. Alle möglichen Welten sind Varianten der uns geltenden Lebenswelt. Die Lebenswelt dient als Leitfaden zum Ich, das diese konstituiert. Es ist das Universum des rein Subjektiven, die Welt des absoluten Geistes. Alle Dinge der wahrgenommenen Welt sind Selektionen aus stets weiter präsenten Alternativen, abhängig vom Welthorizont. Nach W. James erlauben frames (subjektive Sinnwelten), zwischen mannigfaltigen Wirklichkeiten hin- und herzuwechseln. Dies ergibt subjektive Rahmungen der Situation und Inferenzen. (s. Esser 93, S. 499); vgl. Superzeichen.

Struktur der Phänomenologie Husserls

A. Schütz

Implikationen des sinnverstehenden Zugangs zur symbolisch vorstrukturierten Wirklichkeit (Sozialphänomenologie)

  1. Sinnverstehen ist der privilegierte Erfahrungsmodus der Angehörigen einer Lebenswelt
  2. Zur Erklärung und zum Verstehen menschlichen Handelns für den Wissenschaftler:
  3. Wissenschaftler muss sich an vortheoretische Begriffe anschließen. Dadurch Konsistenz der Konstruktionen in der sozialen Wirklichkeit des Alltags. Partikular orientierte Sprache (n. Habermas 95 I, S. 176 ff.).

Wie kann der Wissenschaftler die Erkenntnisse verallgemeinern, wenn er sich eigentlich an einem außerweltlichen Ort befinden müsste, sich nicht auf Epoché berufen kann, wenn das Verstehen keine private Angelegenheit bleiben soll?

Kennzeichen der Lebenswelt (Momente)

  1. Naive Vertrautheit mit einem problemlos vertrauten Hintergrund, ein Netz von Präsuppositionen
  2. Gültigkeit einer intersubjektiv geteilten Lebenswelt. Wird deutlich durch Verwendung des "Wir", den vom Mitmenschen übernommenen Wissensvorrat. Konstanz der Weltstruktur (n. Husserl: "Und so weiter").
  3. Totalität der Lebenswelt, deren Grenzen sich nicht überschreiten lassen. Kontext einer Handlungssituation. Bei Überschreitung eines Kontextes wird ein zwar erklärungsbedürftiger, aber intuitiv schon  bekannter Sinnzusammenhang deutlich (n. Habermas 95 II, S. 198 ff).

 


 
 
 
 
 
 
 
 

Quelle:
Habermas, J. (1995): Theorie des kommunikativen Handelns
Welz, F. (1996): Kritik der Lebenswelt. Opladen.

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