Informationstechnologie in sozialen/pädagogischen Institutionen
Zwecke der Informationstechnologie
Es handelt sich entweder um PC's (einzeln/vernetzt) oder Terminals (Großrechner), oder
eine Kombination von beiden. Zwecke:
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Bearbeitung der Inhalte: Leistungserbringung und Verwaltung/Organisation
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Auskunft/Informationsbeschaffung, Beratung/Bildung, Spiel
Soziale/pädagogische
Institutionen
Komplementär integrierte Rollen mit strategischer Bedeutung im Sozialsystem,
mit einer Vielzahl von Rollenmustern:
Zum einen handelt es sich um ökonomisch/instrumentelle Institutionen.
Ökonomisch-instrumentell wirken soziale Organisationen insofern, als
dass sie einer 'politischen' Entscheidungsfindung im Hinblick auf die Zielorientierung
dienen. Des Weiteren geht es um Budget-Verwaltung, Einkommenssicherung
sowie der Allokation von Personal, diese Funktionen können intern
oder extern orientiert sein. Interne Orientierung bedeutet, dafür
zu sorgen, dass "die Dinge laufen"; extern geht es Repräsentation,
Kooperation und Funktionen der Verfügung über Mittel. Der Einführung
in Rollen und von Rollen dienen beispielsweise Einrichtungen der "höheren
Bildung".
Zum anderen sind es relational-regulative Institutionen, die die moralischen
Werte des Kollektivs vertreten. Sie weisen dazu regulative Muster auf,
und definieren die Grenzen der privaten Sphäre. Sie dienen der Integration
von Personen oder Sub-Kollektiven, wirken durch spontane Aktion/informelle
Sanktionen ebenso wie durch eine formale Durchsetzungs-Maschinerie und
die entsprechenden Rollenmuster (n. Parsons 1951, S. 137 ff.).
Arbeitsfelder der Sozialarbeit
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Allg. soziale Dienste,
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Kinder- und Jugendarbeit, Altenarbeit,
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Gesundheitshilfe, Behindertenhilfe,
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Schul-Sozialarbeit, Erwachsenenbildung/Fortbildung, betriebliche Sozialarbeit
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Resozialisierung
Entwicklungsphasen/Sichtweisen
Ausgehend von der Steigerung der Produktivkräfte in Industrie, Handel
und Verwaltung hat die Einführung der Informationstechnologie
in die Sozialarbeit Bezug zur Verbesserung der Infra-Struktur und deren
Reorganisation, und vermag innovativ zu wirken.
Starke Bezüge ergeben sich zu den Debatten um Rationalisierung,
die Humanisierung der Arbeit (80er Jahre), der Anwendung bei personenbebundenen
Dienstleistungen, zur Qualitätsdebatte sowie der Frage nach dem Datenschutz.
Die Frage ist nicht ob, sondern wie die Übertragung von Rationalisierungsmöglichkeiten
im Wirtschaftsbereich auf den Sozialbereich geschehen soll. Aus der grundsätzlichen
Ablehnung auf der einen und der Euphorie auf der anderen Seite hat sich
heute eine nüchterne Betrachtungsweise durchgesetzt. Grundlegend erforscht
sind aber bisher lediglich die Auswirkungen der Bildschirmarbeit auf die
MitarbeiterInnen.
Allgemein ist zu unterscheiden die Verarbeitung von Daten zu Informationen
für quantitative Zwecke (z.B. Geld) von der Verarbeitung zu qualitativen
Zwecken (interpersonal). Diskutiert werden der erwartete Nutzen sowie mögliche
Schäden (Gefahren). Aspekte sind insbesondere:
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Informationstechnologie als wertneutrales Werkzeug
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Informationstechnologie als machtbezogenes Herrschaftsinstrument
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Informationstechnologie als Kommunikationsmittel
Computer als Werkzeug
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z.B. doppelte Buchführung, Kostensteuerung
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Bereitstellung von Wissen
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im direkten Klientenkontakt
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und in allen Hierarchieebenen
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--> flachere Hierarchien oder
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--> Verfestigung struktureller Gegebenheiten: Trendverstärker-These
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Qualitätsverbesserung
(auf gesetzlicher Grundlage oder durch Angebot/Nachfrage)
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Job-Enrichment (Sozialarbeiter führt gleich den Verwaltungsvorgang
mit aus): Intensivierungs-These
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Kostensenkung (Rationalisierung)/Arbeitsplatzabbau, oder größere
Freiräume.
Veränderung durch die EDV sind interessengeleitet (These).
Zwar kann man den Computer wie einen Kugelschreiber betrachten, es liegt
aber an den Akteuren, was sie damit machen. Es geht um die "Entmystifizierung
der Kisten". Ihr richtiger Gebrauch setzt allerdings fachliche Kenntnisse
sowie die Abschätzung der institutionell/organisatorischen Gefahren
und Möglichkeiten voraus.
Computer als Herrschaftsinstrument
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Zunahme der Zweck-Rationalität der sozialen Arbeit
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Sozialarbeit mit der EDV wird zur Armutsverwaltung (repressiv-kontrollierend)
(n. Bolay 1993, S. 96)
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über Subjekte wird objektivierbares Wissen gespeichert
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Arbeitsabläufe werden algorythmisiert (Spontaneität wird geringer)
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Logik der Verwaltungsabläufe bekommt ein Übergewicht, implizit
werden dadurch Normen und Werte vermittelt.
Es kann somit zu einer sog. "heimlichen Machtergreifung des Computers"
(Mücker/Scheitz) kommen. Allerdings wird die Anwendung der Informationstechnologie
heute eher mit der Qualitätsdebatte in Verbindung gebracht.
(vgl. Brach/Geiser 1996; Müller 1996)
Computer als Kommunikationsmittel
Stichworte: Internet/Email, Telekommunikation mit Sprachsteuerung, Vernetzung,
...
Wirkungsebenen des Computereinsatzes
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Organisationsstruktur der sozialen Dienste
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Beschäftigte
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Verhältnis
Beschäftigte/Klienten
Auswirkung auf die
Organisationsstruktur
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Veränderungsdruck
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Innovationen
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Lean-management
Auswirkungen auf die Beschäftigten
Voraussetzungen/tatsächliche Auswirkungen:
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Bildungsstand sehr unterschiedlich:
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fast zwei Drittel: (60%) der Anwender: Kenntnisse privat erworben
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weniger als die Hälfte (46%): Kenntnisse durch Fortbildung erworben
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Einstellung:
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bei Nutzer: zu fast 90% positiv,
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bei Nicht-Nutzern: mehr als zwei Drittel nutzen nur deswegen keinen Computer,
weil fachliche Kenntnisse oder/und Finanzmittel fehlen (n. Mücker/Scheitz
1991, S. 2)
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Steigerung des Effizienzdenkens
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mehr Freiräume, aber auch mehr Kontrollmöglichkeiten
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Komplexität und Reichweite der Auswirkungen durch EDV-Reorganisation
ist oft nicht bewusst. Die Erwartungen an die Technik stimmen oft nicht
mit der Realität überein.
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Gründe sind in erster Linie die Erwartung von Rationalisierung und
Optimierung.
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Bei Einsatzerweiterungen der EDV geht es demgegenüber in erster Linie
um Reorganisation.
Einführung
der EDV durch die Mitarbeiter
(= horizontale Implementierung, bottom-up)
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Innovatoren (in erster Linie Männer) innerhalb kleiner Arbeitseinheiten,
mit wenig Hierarchie
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Arbeitsplätze mit großem Aufgabenspektrum
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hohe professionelle Freiheitsgrade
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besonders effizient im Dienstleistungssektor
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Qualitätsanspruch
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keine systematische Abschätzung der Folgen und Risiken
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wenig Beteiligung anderer Kollegen, aber auch wenig Blockade (leben und
leben lassen)
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Konflikte laufen innerhalb informeller Spielregeln und unausgesprochener
Normen; Verlässlichkeit
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Aufstellung "wilder PC's" mit selbstgeschriebenen Programmen: Problem der
Einbindung in die Umgebung, andererseits auch Gefahr, wenn dort gespeicherte
persönliche Daten später in andere Systeme übernommen werden
können (s. Mehlich 1996)
Auswirkungen auf die Mitarbeiter
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Überzeugung durch Anschauung, eine eventuelle Ablehnung bröckelt
ab - z.T. auch kritiklose Begeisterung
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Entlastung der Kollegen von Routinearbeiten (Kartei/Abrechnungen ...)
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Vollendete Tatsachen schaffen
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innerbetrieblicher Territorialgewinn für Innovatoren
Auswirkung auf das Verhältnis
Beschäftigte/Klienten
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mehr Zeit für Klienten
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schnellerer Zugriff auf Informationen, Erhöhung der Beratungsqualität
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aber auch Ängste und es kann unpersönlicher werden: statt zu
Mensch-Mensch-Interaktionen kommt es vermehrt zu Mensch-Maschine-Interaktionen
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Nur noch software-kompatible Daten werden gesammelt
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Beratung verkommt zur Datenerhebung, die Entscheidungen werden durch Expertensysteme
gefällt.
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Gefahr verschärfter sozialer Kontrolle (Datenschutz)
Datenschutz
Unterschiede im Datenschutz: Person (Schweigepflicht); Zettel/Akten: (abschließbar,
reguläre Büro-Organisation); Computer einzeln: Verschluss; vernetzt:
Passwort für bestimmte Zugriffsrecht.
Problem: wer verwaltet Passwort? Hierarchie/Praktikabilität?
Anspruch: informelle Selbstbestimmung
Individuen sollen die Verwendung der Informationen über sie selbst
steuern können. Abzuleiten aus dem Persönlichkeitsrecht lt. GG.
Hinter dem Rücken von Betroffenen dürfen keine Daten weitergegeben
werden. Allerdings: Missbrauchsmöglichkeit, wenn Daten zu Profilen
zusammengeführt werden und unbefugter Gebrauch davon gemacht wird.
Auch werden häufig Daten erfasst, die für den jeweiligen Zweck
nicht erforderlich sind. siehe: Innere
Kolonisierung der Lebenswelt
Beispiele für die Datenerfassung von Klienten:
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Fallerfassung, Beratungsprozess, Fallabschluss
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soziodemografische und sozioökonomische Merkmale:
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Schul- und Berufsabschluss
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Wohnsituation
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Arbeitssituation
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Bezugsperson / Beziehungsnetze
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Einkommen
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Nationalität
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Wirkungen und Ergebnis von Absprachen
Pro Erfassung von Klientendaten
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Selbstkontrolle der Professionellen
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Dokumentation nach innen und nach außen (Evaluation) - Träger,
Berufspolitik, Ausbildungszwecke
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Effizienzsteigerung im Arbeitsablauf
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für Berufs-Nachwuchs selbstverständliche Erwartung
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Rechtssicherheit in Prozessen
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Sozialforschung
Contra Erfassung von Klientendaten
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Bestimmungen des KJHG verletzt
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viele Missbrauchsmöglichkeiten
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Klienten werden zu Objekten, zu Trägern symptomatischen Verhaltens.
Handeln tun nur die Sozialarbeiter mit ihren Computern.
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Statt Selbstkontrolle: nur Klientenkontrolle (n. Rüsing 98, S. 23)
Merkmale informeller Selbstbestimmung
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Daten dürfen nur zur Erfüllung der Aufgabe erhoben werden, nur
zusammengeführt werden für einen Sachzusammenhang und nur für
den Zweck verwendet werden, zu dem sie erhoben sind (KJHG § 62).
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Nur Zwecke des Klienten sind erlaubt, nicht Zwecke der Institution
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Vor Einführung bzw. Erweiterung der EDV:
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Wirkungsabschätzung im Hinblick auf Datenschutz/Selbstbestimmung,
Organisationsablauf und Arbeitsplatzsicherheit erforderlich.
Beispiele
für Info.-Technik in der Sozialarbeit
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Administration: externe Leistungsverwaltung / interne Organisation
(zu Dreiviertel)
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Schreibarbeiten
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Abrechnung/Antragswesen
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Planung/Management
(zu weniger als der Hälfte)
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Informationsbeschaffung
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Beratung (Diagnose/Therapie)
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Bildung (Erziehung/Lernen)
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Freizeit
Computer
in der Administration der Sozialarbeit
Computergestützte
Informationsbeschaffung
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Offline oder online (CD-ROM/Internet)
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BFA-Rentenansprüche, Arbeitsamt (Stellenangebote), Weiterbildungsdatenbanken
(KURS-Direkt), Selbsthilfegruppen
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Programme für Selbstbenutzung durch Klienten gedacht (SOLDI, Berechnung
der Sozialhilfe), real:
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Klienten überfordert. Analphabeten, Fachausdrücke und die Schnittstellenproblematik
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Vorteile/Konsequenzen
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Berater und Klient gemeinsam (s.u.), Ermessensspielraum bleibt. (vgl. Steuer-Programm)
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Zur Mitarbeiterschulung
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Zur Klientenschulung, um dem Sachbearbeiter gegenüber besser auftreten
zu können
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Überprüfen der Bescheide möglich
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Informationsquelle für Berater, die mit dieser Materie sonst nicht
befasst sind.
Computergestützte Beratung
Arten von Beratung
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Behebung von Informationsdefiziten (komplementär / asynchron)
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Problemlösung (symmetrisch / synchron)
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Therapieform
Phasen einer Beratung
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Datensammlung
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Verknüpfung der Daten zu Informationen
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Deuten und Bewerten der Informationen
Merkmale von Beratung
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offener Prozess
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Subjektivität (Einfühlen/Wertschätzung, Vorurteile und Lebensgeschichte)
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aktiv Zuhören können
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Auch der Beratende selbst durchläuft einen Prozess der Selbstaufklärung
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daher von Computern nicht ersetzbar.
Beispiele für Anwendungen von EDV in der Beratung
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Schuldnerberatung
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Expertensysteme, die Schlussfolgerungen ziehen können
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Programm KLEVAL auf der Basis eines Datenbanksystems (Brack 1996, S. 18)
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in EDV integrierte klientenzentrierte Gesprächsführung (ELIZA)
von Weizenbaum
Grenzen bestimmen
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Einschränkung oder Verbannung des Computereinsatzes in der Beratung,
Kriterien müssen im Detail entwickelt werden.
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Computereinsatz in der Beratung nur zu Zwecken der Informationsbeschaffung.
Quellen:
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Bolay 1993
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Geiser, K. (1996): Aktenführung und Dokumentation
sind Grundlagen professioneller Sozialarbeit (S. 5-9) und Brack, R.: (1996): Akten als Fundgrube für die Evaluation.
In: Blätter der Wohlfahrtspflege - Deutsche Zeitschrift für Sozialarbeit
1+2/96
-
Brack, R./Geiser, K. (1996): Selbstevaluation, die Rechenschaftspflicht
gegenüber der Öffentlichkeit und das Beschwerderecht der Klienten
erfordern eine hohe Qualität der Aktenführung. In: Blätter
der Wohlfahrtspflege - Deutsche Zeitschrift für Sozialarbeit 6/96
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Mehlich, H.: Einsatzperspektiven und Wirkungen des Computereinsatzes
im Sozialwesen: Ein Beitrag zur Sozialinformatik. Zeitschrift für
Sozialreform, Heft 3, Wiesbaden 1996
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Mücker, A./Scheitz, A.: Die heimliche Machtergreifung
des Computer. In: Sozial Extra, November 1991, S. 2-4
-
Müller (1996): Sy<stematisierung und Computerisierung
von Klientenakten ist ein gefährlicher Irrwqeg in der sozialen Arbeit.
In: Blätter der Wohlfahrtspflege - Deutsche Zeitschrift für Sozialarbeit
6/96
-
Parsons, T.: The Social System (1991), reprinted London 1997
-
Rüsing 1998
© Claus-Henning Ammann 2002, www.multimedia-pflege.de