Gruppendynamisches Entwicklungsphasen- Modell

(jeweils aus TeilnehmerInnen- bzw. aus GruppenleiterInnen-Sicht (n. Klein 1984)

Phasen der Gruppendynamik: Vermittlung in Seminarform; Gruppenlernen (n. Schein)


Phasen: Fremdheit (Unsicherheit), Orientierung, Vertrautheit, Differenzierung, Abschluss

Die Phasen des Gruppenprozesses werden im Folgenden idealtypisch dargestellt. Deren Verlauf ist oft sprunghaft und muss sich nicht gleichzeitig auf alle Gruppenmitglieder beziehen.

Die Kenntnis dieser Phasen verhilft den Beteiligten, Situationen besser wahrzunehmen und in ihrer Handlung den Entwicklungsstand der Gruppe zu berücksichtigen.

Die wichtigsten Einflussfaktoren auf die Gruppenentwicklung sind die Bedürfnisse nach Anerkennung / Zugehörigkeit und nach Sicherheit.

 

1. Fremdheitsphase: "Wunschbach"
Dieses ist die Phase der Unsicherheit und der ambivalenten Gefühle. Auf der einen Seite steht der Wunsch, von der Gruppe und dem Gruppenleiter anerkannt zu werden. Auf der anderen Seite wird Angst erlebt, ob man/frau so bleiben kann wie er/sie ist oder ob ganz neues Verhalten erwartet wird. Dieses Erleben steht in Abhängigkeit von früheren Gruppenerfahrungen. Demnach sind zwei widersprüchliche Verhaltenstendenzen zu beobachten: aufeinander zu- voneinander weg.

TeilnehmerInnenperspektive

GruppenleiterIn-Perspektive

Welche Wünsche / Bedürfnisse entstehen in einer Anfangssituation in Bezug auf die Gruppe?

  • Zugehörigkeit zur Gruppe
  • Annäherung an zumindest eines der neuen Gruppenmitglieder
  • Orientierung am Gruppenleiter / an der Gruppenleiterin
  • Regeln und Normen der Gruppe herausfinden
  • Erste Rollenfindung

Welches Verhalten wird in dieser Anfangssituation vom Gruppenleiter / von der Gruppenleiterin erwartet?

Der Gruppenleiter / die -leiterin ist Maßstab und Modell; auf seinen Beitrag zum Entstehen von Gruppennormen kommt es an:

  • Jedes Gruppenmitglied ernst nehmen, offen und aufmerksam sein
  • Unsicherheiten wahrnehmen und offen ansprechen
  • Bedingungen und Spielräume erklären
  • Nähe und Distanz stimmig handhaben
  • Zusammenarbeit unterstützen
  • Gelegenheit zur Beziehungsaufnahme und -klärung wahrnehmen (Methoden kennen und anwenden können)

 

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2. Orientierungsphase: "Platzhausen"

Das erste gegenseitige Beschauen und Abtasten ist einigermaßen abgeschlossen. Ein Netz von Gedanken und Wahrnehmungen, von Beziehungen, Sympathien/Antipathien entsteht: Die Dynamik der Gruppe entfaltet sich. Unsicherheit und Angst können dazu führen, dass diese oft stürmische Phase negativ erlebt wird. Werden Beziehungen in dieser Phase nicht geklärt, kann die Gruppe sie eventuell nie bewältigen. Sie kann dann auch auseinanderfallen.

TeilnehmerInnenperspektive

GruppenleiterIn-Perspektive

Wie kann sich das Bemühen der einzelnen Mitwirkenden ausdrücken, einen anerkannten Platz in dieser Gruppe zu erlangen?

  • Jedes Gruppenmitglied braucht Anerkennung, braucht ein Stück Sicherheit und möchte gern wichtig sein für die anderen. Jeder sucht seinen Platz.
  • Tn. bringen sich in sehr unterschiedlicher Weise ein: 
  • äußern ihre Gedanken und Vorschläge oder sind zurückhaltend
  • unterstützen andere oder greifen andere an
  • sind scheu oder wissen schon alles
  • sprechen gewählt oder in einfacher Weise 
  • (...)
  • Rollen entstehen durch Erwartung und Zuschreibung, z.B.:
  • sachverständige Beiträge à Fachmann/-frau
  • sich zurückhalten à Schweiger
  • Witze machen à Gruppenclown
  • (...)
  • Entwicklung komplementärer und symmetrischer Rollenmuster:
  • Festschreibung in einer Rolle
  • Austragen untergründiger persönlicher Spannungen über die Sachebene 

Wie kann die Leiterin / der Leiter dieser Gruppe dazu beitragen, dass die Mitwirkenden einen anerkannten Platz in dieser Gruppe erlangen?

  • Sich zunächst über seine eigene Belastung klar werden:
  • Muss man sich um seinen Platz mühen oder wird man bereits in die Gruppe einbezogen? Oder gar vereinnahmt?
  • Sich klarmachen, worum es den TeilnehmerInnen geht, damit diese in der Gruppe verbleiben können. Feststellen, ob sich jemand auf Kosten anderer profiliert.
  • Anbieten von Untergruppenarbeit, ohne Klärungen in der Gesamtgruppe zu vernachlässigen
  • Spannungen in der Gruppe akzeptierend ansprechen, damit sie bearbeitbar werden
  • Wichtig: Das eigene Verhalten bewusst gestalten, als Modell für die Gruppenmitglieder


 
 

 

 

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3. Vertrautheitsphase: "Heimelshausen"

JedeR hat einen anerkannten Platz in der Gruppe gefunden. Man kennt seine Stärken und Schwächen, es gibt viel Auftrieb und Freude. Die Gruppe hat ihr erstes Selbstverständnis gefunden, das "wir" wird häufiger benutzt. 

TeilnehmerInnenperspektive

GruppenleiterIn-Perspektive

Welche Problematik kann für die Gruppe entstehen? 

  • Vorschnelle Vertrautheit führt dazu, dass individuelle Meinungen unterdrückt werden. Es entstehen Elemente einer Gruppensprache.
  • Die Gruppe lässt nichts Neues an sich heran; Abweichungen von der Gruppennorm werden mit Ablehnung bestraft. 
  • Nach außen erscheint die Gruppe stabil, ist jedoch innerlich letztlich nicht tragfähig. Es besteht die Gefahr, dass sie in diesem Stadium verharrt.

Was kann der Einzelne dazu beitragen, dass die Gruppe sich positiv weiterentwickelt? 

  • Unterschiedliche Wahrnehmungen und Bedürfnisse nicht verleugnen, sondern zu offenen Themen machen. 
  • Das gegenseitige Vertrauen zur Grundlage machen, damit sich Einzelne mehr einbringen und exponieren können.

Was kann der Gruppenleiter / die Gruppenleiterin dazu beitragen, damit sich die Gruppe positiv weiterentwickelt? 

  • Dazu ermutigen, an den Beziehungen in der Gruppe zu arbeiten
  • Dazu beitragen, neue Normen zu finden und aufzustellen: 
  • offen über Schwierigkeiten sprechen, über Erfahrungen und Gefühle 
  • Unterschiede zulassen 
  • Bedingungen sowie (bewusste und unbewusste) Normen immer wieder neu aushandeln
  • Verantwortung mit den Teilnehmern teilen, an einer Sache arbeiten
  • Die Stärke jedes Einzelnen herausfinden und zum Zug kommen lassen

 

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4. Differenzierungsphase "Okaydorf"
Es handelt sich um die Zielphase der Gruppenarbeit. Die Gruppe ist sich schon recht vertraut geworden, und ihr Wunsch nach Einigkeit und Gemeinschaft ist erfüllt. Die TeilnehmerInnen gehen offen miteinander um, machen Unterschiede zum Thema in der Gruppe. Einzelne können sich mehr einbringen, mehr wagen. 

TeilnehmerInnenperspektive

GruppenleiterIn-Perspektive

Welche Entwicklung kann sich in dieser Gruppe jetzt weiter vollziehen? 

  • Beziehungen werden ständig weiterbearbeitet; Konflikte können durch gemeinsame Anstrengung gelöst werden.
  • Wir leben offen mit den Unterschieden zwischen uns, wir betrachten diese als Chance und Gewinn:
  • Unterschiede sind Ausgangspunkte für produktive, einander achtende Auseinandersetzungen
  • Jeder kann so sein, wie er ist. Weil er nicht festgeschrieben ist, kann er Neues ausprobieren. Er wird wirklich anerkannt, wird als eigenständige Person akzeptiert.
  • Rollen können geändert werden
  • Die Gruppe braucht sich nach außen nicht mehr abzugrenzen. Neue Ansprüche regen sie zu Auseinandersetzungen an.
  • In der Gruppe ist viel Kraft und Initiative. 

Welche Rolle kommt dem Gruppenleiter / der Gruppenleiterin in dieser Phase zu?

  • Die Gruppenleiterin / der Gruppenleiter wird zunehmend zum Teil der Gruppe.
  • Unterstützen und Anregen, ggf. an die gemeinsamen Ziele erinnern.
  • Bei Auseinandersetzungen zur Klärung beitragen
  • Wichtig bleibt Echtheit und Stimmigkeit des Verhaltens.

 

 

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5. Abschlussphase: "Mathäi am Letzten"
Die Zeit zur Trennung ist gekommen. Trennung ist oft schmerzlich. Hier stellt sich die Frage: Hat die Gruppe ihr Ziel erreicht oder hat sie es aus den Augen verloren? Die Bewältigung auch dieser Phase ist wichtig, damit keine diffusen oder ungeklärten Gefühle zurückbleiben.

TeilnehmerInnenperspektive

GruppenleiterIn-Perspektive

Wie kann es den Gruppenmitgliedern in dieser Gruppensituation ergehen?

  • Möglicherweise widerstrebt es den TeilehmerInnen, die unbequeme Trennungsarbeit anzugehen. 
  • Es fällt schwer, die Beendigung einer Beziehung zu akzeptieren. Trennung tut weh - früher aufgetretene Trennungsängste kommen hoch.
  • Die Erinnerung an gemeinsame Erlebnisse wird wach.
  • Man überlegt, welche Schwierigkeiten auf einen zukommen, und überlegt gemeinsam die nächsten Schritte.

 

Welche Aufgabe stellt sich Dir in dieser Situation als GruppenleiterIn?

  • Das Thema "Trennung" immer einmal wieder ansprechen (z.B. im Hinblick auf einen Zeitplan). Die Trennungssituation soll in der Gruppe nicht verleugnet werden. 
  • Förderung der Reflexion: Welchen Weg bin ich gegangen? Wie ist mein Standort heute? Welches mein Ziel, und die nächsten Schritte?
  • Verbale und nonverbale Methoden anwenden, z.B.:
  • Einen Brief an sich selbst schreiben: "Was nehme ich mir für die nächsten vier Wochen vor?", und nach vier Wochen zustellen
  • Ein Bild malen. wie sehe ich die Gruppe heute?

 

 

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Literatur:

© Jutta Salomon/Claus-Henning Ammann 07.05.99, www.multimedia-pflege.de