Strategische Organisationsdidaktik


Einleitung

Sattelberger und Beutel-Wedewardt entwickeln pragmatisch das Design für eine wirkungsvolle Stimulation von Organisationslernen. Es gelingt ihnen, wesentliche Dimensionen der Organisationsdidaktik systematisch zusammenzubinden: das Lernen aufgrund von Feedback aus dem Organisationsumfeld, das Erfahrungslernen aus den materialen Bedingungen im organisationsinternen Kontext sowie aus dem personalen Verhalten sowie das explizit durch betriebliche Bildungsmaßnahmen intendierte Lernen.

Der Zusammenhang von Lern- und Didaktiksystem

Aufgabe der Didaktik ist es, als Medium des Lehrens das Lernen zu erleichtern und ihm ein Sinnorientierung zu geben. Subjekte sollen ihre Lernfähigkeit selbständig optimal ausschöpfen können. Nicht nur auf Subjekte bezieht sich das Lernen, sondern ebenso auf Lerngruppen, Organisationseinheiten und auf eine ganze Organisationen.

Aufgeschlüsselt besitzt das Didaktik-Modell Sattelbergers folgende Merkmale: Im Mittelpunkt des Lehr-Lernprozesses steht als didaktische Gesamtsystem das betriebliche Bildungswesen, integriert mit den anderen Organisationseinheiten. Das Lernsystem ist die ganze Organisation, die mit den zentralen Lerninhalten Organisationsstrategie, Organisationskultur und Organisationsstruktur befasst ist. Impulse sind das Feedback des Organisationsumfeldes, die Bedingungen und Entwicklungstrends. Dafür hat das Didaktiksystem Kommunikationskanäle zu öffnen und zu pflegen.

Linienvorgesetzte werden zu Multiplikatoren ausgebildet, dabei werden sie durch hauptamtliche Personalentwickler betreut, auch hinsichtlich individueller Karrierepfade.

Zusammengefasst sind die wesentlichen Merkmale einer lernenden Organisation erstens, dass die Organisationsmitglieder permanent lernen, weil ihr Wissen fortlaufend veraltet. Zweitens kommen diese nicht in eine Schülerrolle, weil Lerner und Lehrerrolle konzeptionell zusammengebunden sind, drittens setzen sich organisationszentrale Machtpromotoren für sie ein und es entsteht geradezu eine Symbiose zwischen organisationsinternen Machtzentren und der PE-Abteilung.

Ein Beispiel: Linienfachleute als Multiplikatoren

Die Einführung neuer Techniken (z.B. CNC-Maschinen und CAD-Technik) in einem großen Automobilwerk verursachte einen hohen Schulungsbedarf, dem die Herstellerfirma nicht nachkommen konnte. Die Maschineneinrichter mussten daher zu Multiplikatoren ausgebildet werden. Diese Entscheidung löste zunächst Turbulenzen aus, führte aber im weiteren Verlauf zu einer Dynamik im Hinblick auf Organisationsentwicklung und Organisationstransformation. Selbstorganisation des Lernens und das Prinzip organisationsdidaktischer Multiplikation waren die wesentlichen Merkmale des Qualifizierungsdesigns. In derselben Weise, wie die Maschineneinrichter selbst lernten, sollten auch die von ihnen zu schulenden Maschinenbediener ausgebildet werden. Das Organisationskonzept verfolgte den Ansatz: „Wie man lernt, so arbeitet man“. In einem nächsten Schritt sollte somit die erworbene Lernpraxis auf die Arbeitspraxis übertragen werden, es entstand eine „organisationsdidaktische Kaskade“. Die Unterweisung fand am Arbeitsplatz mit fünf bis sechs Bedienern statt. Zur Erfolgsüberprüfung des Lerneffekts wurden Treffen zum Erfahrungsaustausch institutionalisiert. Die „Multis“ wurden zu einem lebendigen Potential. Für die Organisation als Ganzes wurden sie zu einer Innovationsquelle; sie waren nicht nur kostengünstige Trainer und Anwendungsberater für ihre Kollegen vor Ort, sondern auch Berater ihrer Vorgesetzten und letztlich zentrale Innovationspromotoren im Rahmen ihres Fachbereichs.

Zur Stabilisierung der dynamischen Prozesse wurden zum einen Gruppen zur Bearbeitung der Probleme institutionalisiert, die in der ERFA-Gruppe nicht gelöst werden konnten, zum anderen wies man der Funktion des Multiplikators einen festen Platz im Karriereweg vom Bediener über den Maschinenführer, den Fertigungseinrichter bis schließlich zum Fertigungsteamleiter zu.

Insgesamt führte diese Entwicklung zu einer dramatischen Struktur- und Kulturreform des Didaktiksystems. Das betriebliche Bildungswesen überwand seine bisherige Randstellung  und wurde zum Promotor des Didaktiksystems. Dieses besteht aus vier Subsystemen:

1.    Systemeinführung/Implementierung einschließlich Rahmenbedingungen

2.    Führungskräfte übernehmen Verantwortung für die Entwicklung der Qualifikationsstruktur

3.    Das betriebliche Bildungswesen löst sich von der Rolle des schulenden Bereiches, es wird Mitgestalter zur Entwicklung von neuen Abläufen zur Technologieimplementierung. Die Rolle des Beraters gewinnt an Bedeutung.

4.    Die Betroffenen nehmen Einfluss auf Arbeitsinhalte und Qualitätsziele, führen Qualifikationen selbst durch und übernehmen Mitverantwortung für die effiziente Einführung und Nutzung neuer Technologien.

Das Lernen nach dem Prinzip der organisationsdidaktischen Kaskade stellt das einzelne Organisationsmitglied in den Mittelpunkt und befreit sich aus der Abhängigkeit von einer übermächtigen und oft blinden Technikimplementation.

Das organisationsdidaktische Strukturgitter

Folgende Schritte der Reflexion des didaktischen Arrangements sind in diesem Zusammenhang interessant:

1.    Der Gegenstand wird in der didaktischen Analyse im Hinblick auf seine relevanten Bedingungs- und Erschließungsaspekte hin untersucht (vgl. Klafki[1]).

2.    Die didaktisch-methodische Konstruktion fragt nach Mitteln und Wegen einer kontextuell angemessenen Situierung und prozessual günstigen Sequenzierung.

Die Inhalte „Organisationsstrategie, -kultur und -struktur“ werden besonders herausgehoben, weil sie allgemeingültig und durch einen übergreifenden Begründungszusammenhang verbunden sind. Der Kriteriensatz für organisationsdidaktische Analyse lässt sich in Form eines didaktischen Strukturgitters für Organisationslernen darstellen.

Ausgangspunkte sind für Sattelberger die Fragen nach der Sinnhaftigkeit von Organisationen und die Frage, in welcher lerntypischen Art und Weise Organisationen mit der ersten Frage umgehen.

Drei grundlegende Sinnmodelle einer Organisation sind zu unterscheiden:

1.    das Zielmodell (Zweckrationalität ohne Rechtfertigung der obersten Ziele, egozentisch)

2.    das Überlebensmodell (Symbiose mit der Umwelt, dezentriert)

3.    das Fortschrittsmodell (auf die Bedürfnisse der Organisationsmitglieder bezogen)

Als Zwischenstufen lassen sich zwischen 1. und 2. das Koalitionsmodell mit seinem Zielbildungsprozess und zwischen 2. und 3. das am öffentlichen Gemeinwohl orientierte Institutionenmodell einfügen. Ziel-, Koalitions- und Überlebensmodell sind an der Oberfläche zu beobachten, das Institutionen- und das Forschrittsmodell bestimmen hingegen eher die Tiefenstruktur der Organisation.

Das Organisationslernen wird in folgender Weise typisiert und den Inhalten des Organisationslernens zugeordnet:

-     Organisationsänderung ® Zielmodell ® Struktur,

-     Organisationsentwicklung ® Überlebenssmodell ®  Strategie; und

-     Organisationstransformation ® Forschrittsmodell ® Kultur.

Ein Strukturgitter (siehe Abbildung 1) lässt sich zur Klärung folgender Fragen verwenden:

-     Geht es eher um funktional auszurichtenden Personal oder um Persönlichkeitsentwicklung?

-     Richten sich die Maßnahmen nur an innerorganisatorischen Zielen, oder sind sie durch sozialpolitische und ökologische Verantwortung gekennzeichnet?

-     Gehen die Maßnahmen über die Qualifizierung hinaus und sind in der Lage, das Lernen in Bezug auf grundlegende Normen, Werte, Überzeugungen zu problematisieren und weiterzuentwickeln?

Organisationslernen im „magischen Dreieck“ von Organisationsstrategie, Organisationskultur und Organisationsstruktur

Sattelberger betrachtet das magische Dreieck von Organisationsstrategie, -kultur und -struktur (s.o.) als Wesenskern des Gesamtsystems der Organisation. Die Organisationsstrategie steht im Mittelpunkt des gesamten Organisationssystems, daher nennt Geißler seinen Ansatz „strategische Organisationsdidaktik“. Ihre Realisierung entlarvt die Vorstellung im Selbstbild vieler Manager als Mythos, dass die sich entfaltende Strategie deckungsgleich mit der „von oben“ geplanten Strategie ist.

Der Bildungsbedarf einer Organisation lässt sich nun in Auseinandersetzung mit drei Gütekriterien organisationsstrategischen Lernens bestimmen, es handelt sich um Erfolgsfaktoren:

1.    Eine allseitig horizontal und vertikal entfaltete Kommunikation, auch für schwache Signale,

2.    hohe Flexibilität im Umgang mit einer sich entfaltenden Organisationsstrategie, deren bottom-up oder top-down-Ansatz nicht sicher kalkulierbar ist,

3.    der „emotionale Klebstoff“ gemeinsamer Werthaltungen und ein „konformitätsformendes Zusammengehörigkeitsgefühl“.

Quellen:

Geißler, H.: Grundlagen des Organisationslernens, Weinheim 1995, S. 141-165

Jank, W./Meyer,H.: Didaktische Modelle, Frankfurt/M. 1991

Beutel-Wedewardt in: Sattelberger, Th. (Hg.): Die lernende Organisation: Konzepte für eine neue Qualität der Unternehmensentwicklung, 3. Auflage, Wiesbaden 1996, S. 147-259



[1]Nach Klafki sind zurn didaktischen Analyse fünf Grundfragen zu stellen, um den Bildungsgehalt von Inhalten und Themen zu klären: erstens nach ihrer Gegenwartsbedeutung, zweitens nach ihrer Zukunftsbedeutung, drittens nach ihrer Sachstruktur, viertens nach ihrer exemplarischen Bedeutung und fünftens nach ihrer Zugänglichkeit für die Adressaten (n. Jank, W./Meyer, H. 1991, S. 133)

 

(c) Claus-Henning Ammann, 7. Sem. DSE (27.05.1997) Seminar: Organisationslernen und Weiterbildung;  Dr. U. Witthaus

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