Konvergenztheoretiker

Voluntaristischtes Handeln

A. Marshall

"Kern ist ein Wert-Element, ein System von gemeinsamen letzten-Wert-Einstellungen, direkt in solchen Handlungen ausgedrückt, welche von einem anderen Gesichtspunkt aus betrachtet gleichzeitig wohlstandsschaffende Handlungen sind" (Parsons 1937, S. 453). Marshall unterstützte das "laissez faire"-Prinzip nicht nur wegen seiner "Effizienz", sondern insbesondere auch deswegen, weil nur ‘freie Unternehmen’ ein angemessenes Feld bieten konnten für den Ausdruck der Charakterqualitäten, die er auf ethischer Grundlage bewertete. Ökonomische Aktivitäten sind für ihn eher eine Art des Ausdrucks und der Entwicklung solcher Qualitäten als nur Mittel für die Maximierung von Befriedigungen (n. Parsons 1937, S. 453).

V. Pareto

formuliert die "Konzeption von Ketten der intrinsischen Mittel-Zweck-Beziehung." Damit überwindet er die "‘individualistische’ Neigung der positivistischen Theorien. Er unterscheidet drei "‘Sektoren’" des Handelns: Letzte Zwecke, letzte Mittel und Bedingungen und den "‘Zwischensektor’ (intermediärer Sektor)," dessen Elemente beides sind, Mittel und Zwecke, je nachdem, ob man sie von "‘oben’" oder von "‘unten’" besieht. Diese kann man nicht isolieren, außer in analytischer Absicht. Diese Ketten bilden ein kompliziert gewebtes "‘Netz’" von Fäden, deren Elemente oben und unten in der Zeitachse getrennt werden können (Parsons 1937, S. 457 /59, entspr. S. 238). Mit diesem komplizierteren Schema wird die atomistische Denkweise überwunden. Es wird offensichtlich, dass "Handlung nicht nur betrachtet werden muss als orientiert an höheren Zwecken in derselben Kette, sondern auch genauso gut zur selben Zeit orientiert an solchen in anderen Ketten" (Parsons 1937, S. 457).

Weil die Möglichkeit des gemeinsamen Gebrauchs jeweils des anderen Zweckes besteht, kommt die Frage auf, wie die Beziehungen geregelt sind. "Der normative - oder Wertaspekt ist in Bezug auf konkrete Systems nicht nur am rationalen Pol gefunden worden, sondern auch in anderen Zusammenhängen." Das Phänomen der "Nichtbestimmbarkeit der Gefühle (sentiments)" erlaubt die Formulierung eines "breiteren, weniger definitiven Konzeptes als das der letzten Zwecke (ultimate ends), nämlich das der letzte-Werte Einstellungen. Offensichtlich ist für Pareto dieses Element von ebenso großer Bedeutung im immensen Feld der rituellen Handlungen wie in Beziehung zu der intrinsischen Mittel-Zweck-Kette." (Parsons 1937, S. 458 / 59)!

Auch für É. Durkheim (1858 - 1917) war die Kategorie des "‘Sozialen’" zunächst noch eher ein negativer - als positiver Begriff, sie war eine "Residualkategorie" (Parsons 1937, S. 352). Das funktionierende Ganze kann jedoch nicht abgeleitet werden von den Eigenschaften der einzelnen Einheiten, "isoliert von ihrer konkreten Verwicklung in das Ganze", dies wäre lediglich "Atomismus" zu nennen (Parsons 1937, S. 353). Durkheim betont, dass es notwendig ist, das Individuum in den Zusammenhängen seines sozialen Milieus zu studieren, d.h. das Ganze zu beobachten. Die Einheit Individuum kann nicht mit einem konkreten menschlichen Wesen gleichgesetzt werden, denn ein Mensch ohne soziale Beziehungen ist eine Fiktion (n. Parsons 1937, S. 355). Den Begriff, den er am meisten benutzte, das soziale Milieu, ist charakteristisch für Durkheim. Die soziale Realität ist genau gedacht als eine Umwelt, als eine äußere Realität, auf welche das Individuum reagiert oder welche ihn behandelt" (Parsons 1937, S. 371). Auf die Tatsachen dieser Realität muss es sich in jeder Gesellschaft einstellen

"Im Gegensatz zwischen der moralisch neutralen Einstellung, verbunden mit dem Sanktionskonzept des Drucks und mit Normen der ‘Effizienz im allgemeinen, tritt die Einstellung einer moralischen Verpflichtung hinzu, einer besonderen Ehrfurcht vor der Regel" (Parsons 1937, S. 386). Ehrfurcht entsteht vor kategorisch gültigen Normen, die außerhalb jeden Zweifels stehen. Diese haben gleichsam einen unantastbaren, heiligen Charakter. "Wie Kant gezeigt hat, können kategorisch gültig nur allgemein gültige Normen sein" (Münch 1988, S. 316).

Die symbolische Beziehung ist nicht "einfach ein passiver Gedanke, sondern dieser bezieht aktive Stellungnahmen und Handlung ein. Diese Handlung hat die Form des Rituals, welche daher für einen Ausdruck von letzten-Zwecken-Einstellungen in symbolischer Form gehalten werden mag" (Parsons 1937, S. 467).

Durkheims Aufmerksamkeit war aber weniger auf das intrinsische Mittel-Zweck Schema gerichtet, als auf dessen ‘intermediate sector’ (Pareto).

Für M. Weber (1864 - 1920) sind Verstehen, Werte und das Mittel-Zweck-Schema die fundamentalen Elemente menschlicher Handlung (n. Parsons 1937, S. 591). Es ist die ‘Wertbeziehung’ (Weber 1922, S. 178), welche das auswählende Organisationsprinzip für das empirische Material der Sozialwissenschaften darstellt.

Durch Heilighaltung der Tradition wird die Ordnung auf universellste, ursprünglichste Weise aufrecht erhalten (n. Weber 1972, S. 19)". Die "Qualität der Ordnung" rechnen ihr diejenigen zu, die in "Beziehung zu ihr handeln" (Parsons 1937, S. 661). "Für einen, der eine Ordnung für legitim hält, nach ihren Grundsätzen lebt, wird diese zu einer Art moralischer Verpflichtung" (Parsons 1937, S. 661). "Daher hat Weber denselben Punkt wie Durkheim erreicht, als er Druck (constraint) als moralische Autorität interpretierte." Die Frage taucht auf, ob man die Analyse der drei Handlungsmotive "Tradition, Affekt, Wertrationalität" (in Webers Klassifikation) verlassen muss oder ob es möglich ist, ein vereinheitlichendes Konzept in allen dreien zu finden. "Solch ein vereinheitlichendes Konzept ist zweifellos gegenwärtig im Konzept des ‘Charisma’" zu finden" (Parsons 1937, S. 661). Charisma ist "eine Qualität der Dinge und Personen durch die Vorstellung von ihnen, sie sind besonders getrennt vom Normalen, dem Alltäglichen, der Routine", dem Profanen (Parsons 1937, S. 662). Allerdings muss das Profane mit dem Heiligen in Verbindung treten können, sonst wäre das heilige Ding zu nichts nütze (Durkheim 1912, S. 55)

Ein prinzipielles typisches Interesse der Menschen in diesem Zusammenhang ist es, "ihrem Leben einen Sinn (meaning) zu geben. In diesem Zusammenhang ist es Tatsache, dass alle Menschen gewisse Dinge achten oder für heilig halten." Es ist die Qualität des "Charisma", "welche dem Menschen und den Dingen Bedeutung beimisst durch die Vorstellung ihrer Beziehungen mit dem ‘Übernatürlichen’". Diese "nichtempirischen Aspekte der Realität" sind "teleologisch ‘sinnvoll’ verbunden mit menschlichen Handlungen und den Ereignissen der Welt" (Parsons 1937, S. 668). Sinn und Orientierung an anderen Subjekten als Merkmal sozialen Handelns werden von Parsons als ‘normative Orientierung’ neu eingeführt und dort aufgehoben (n. Tyrell 1996).

Legitimität ist die institutionelle Anwendung oder Verkörperung von Charisma (n. Parsons 1937, S. 669).

Trotz ihrer Unterschiede kommen Weber und Durkheim zu meist identischen Ergebnissen. Diese beziehen sich auf zwei strategische Punkte - die Unterscheidung der moralischen und nicht moralischen Motive der Handlung in Beziehung zur Norm, und der Unterscheidung zwischen der Qualität der Norm als solcher und deren erweiternden Elementen (n. Parsons 1937, S. 669). Moralische Motive sind n. Weber Legitimität, n. Durkheim moralische Autorität, erweiternde Elemente n. Weber Charisma, n. Durkheim Heiligkeit.

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